Das Schmerzgedächtnis im zentralen Nervensystem – Fachwissen und physiotherapeutische Behandlung in Oberhausen
Chronische Schmerzen gehören zu den am schwierigsten zu behandelnden Leiden des Menschen, wobei an den Beschwerden das Schmerzgedächtnis schuld sein soll.
Schmerz ist das Resultat des peripheren Einstroms zuzüglich vieler hemmender und verstärkender Faktoren im zentralen Nervensystem. Damit wird Schmerz als psychophysiologisches Phänomen gesehen, an dem psychische und physiologische Veränderungen gleichermaßen beteiligt sind. Eine besonders wichtige Rolle spielen neuroplastische Veränderungen in Rückenmark und Gehirn. Man fasst sie unter dem Begriff Schmerzgedächtnis zusammen.
Ein Mann leidet nach einem schweren Arbeitsunfall, bei dem ihm ein Bauträger aus großer Höhe auf den Kopf fiel und ihn an der Stirn verletzte, jahrelang unter starken Schmerzen in Gesicht und Stirn. Die sich teilweise über den ganzen Kopf ausbreitenden Schmerzen treten verstärkt auf, wenn sich der Patient bei einer geistigen Tätigkeit anstrengt. Trotz vielfältiger neurologischer Untersuchungen ließen sich für seine Schmerzen keine körperlichen Ursachen finden.
Eine psychophysiologische Untersuchung mit Messung der Muskelspannung unter Belastung sowie der Schmerzempfindlichkeit zeigte, dass der Betroffene nun extrem schmerzempfindlich war. So reagierte er sogar auf leichte Berührungsreize mit starken Schmerzen und hoher Muskelanspannung. Patienten leiden häufig unter extremen Schmerzen, ohne dass man eine Schmerzursache entdecken kann.
Sprachen Experten früher von „psychogenen“ Schmerzen nebst psychotherapeutische Behandlung, glaubt man gegenwärtig, dass es keine einfache 1:1-Beziehung zwischen den Verletzungen bestimmter Körperareale (Peripherie) und der Schmerzempfindung im zentralen Nervensystem (Rückenmark und Gehirn) gibt.
Traumata, operative Eingriffe und Entzündungen führen regelmäßig zu Sensibilisierungen von Nozizeptoren – der sogenannten periphere Sensibilisierung – und häufig auch von nozizeptiven Nervenzellen im Zentralnervensystem – die zentrale Sensibilisierung.
Während die periphere Sensibilisierung meist auf die Dauer der peripheren Schädigung begrenzt ist, kann die zentrale Sensibilisierung die primären Schmerzursachen überdauern und dann zur Chronifizierung von Schmerzen beitragen. Man spricht vom sogenannten Schmerzgedächtnis.
Bei Gesunden spielt das nozizeptive System eine wichtige Rolle für die Homöosthase. Es erkennt Noxen und kann adäquates Verhalten einleiten, dazu zählen Wegziehreflexe, Vokalisationen, Flucht- und Vermeidungsverhalten. In dem Bereich einer bereits eingetretenen Gewebeschädigung sinkt die Schmerzschwelle ab und trägt damit der erhöhten Vulnerabilität des Gewebes Rechnung. Allodynie und Hyperalgesie können dann als adaptive Mechanismen angesehen werden. Das so ausgelöste Schonverhalten kann den Heilungsprozess begünstigen.
Nozizeptoren kommen in allen Organen mit Ausnahme des Nervensystems vor. Die Weiterleitung der nozizeptiven Information erfolgt über langsam leitende, dünne, schwach myelinisierte A-, oder nicht myelinisierte C-Fasern. Die sensiblen Nervenfasern enden im Hinterhorn des Rückenmarks oder in den sensiblen Trigeminuskernen, wo die Information synaptisch auf sehr unterschiedliche Typen von Nervenzellen umgeschaltet wird.
Nozizeptive Neurone im Rückenmark oder den Trigeminuskernen können eine aufsteigende Projektion zu Hirnarealen wie dem Thalamus, dem Periaqueduktalen Grau oder dem Parabrachialen Areal besitzen, sie können Interneurone sein, deren Axone das Rückenmark nicht verlassen und z.B. Teil eines Reflexbogens darstellen.
Nozizeptive Neurone können darüber hinaus auch hemmende Neurone sein, die antinozizeptiv im Sinne einer negativen Rückkoppelung wirken. Im Zentralnervensystem unterliegt die Verarbeitung nozizeptiver Information dem hemmenden Einfluss der körpereigenen Schmerzabwehr. Zentraler Bestandteil dieser körpereigenen Schmerzabwehr ist die absteigende Hemmung vom Hirnstamm zum Rückenmark.
Diese absteigende Hemmung ist tonisch aktiv und für eine normale Schmerzempfindlichkeit unerlässlich. Die körpereigene Schmerzabwehr folgt einem circadianen Rhythmus und kann in besonderen Situationen wie z.B. akuten Stresssituationen noch zusätzlich aktiviert werden. Somit ist eine Anpassung der Schmerzempfindung und des Schmerzverhaltens an die jeweils gegebene Situation möglich.
Bei Entzündungen und peripheren Verletzungen kommt es in der Regel zu einer Sensibilisierung von Nozizeptoren für die Dauer der primären Schmerzursache. Die resultierende Hyperalgesie und Allodynie tragen der besonderen Schutzbedürftigkeit des geschädigten Gewebes Rechnung und können daher als adaptive Reaktion angesehen werden. Zusätzlich kann es zu einer Sensibilisierung (Sandkühler 2001) und Reorganisation (Flor et al. 1995) in Teilen des nozizeptiven Systems im Rückenmark und im Gehirn kommen. Dadurch werden Schmerzreaktionen bei Reizen im geschädigten Areal weiter verstärkt.
Die Zentrale Sensibilisierung kann darüber hinaus das Areal der Hyperalgesie vergrößern und gesundes Gewebe mit einbeziehen, das an das erkrankte Gebiet unmittelbar angrenzt. Die krankhaft gesteigerte Schmerzempfindlichkeit im angrenzenden, nicht geschädigten Areal nennt man sekundäre Hyperalgesie. Zentrale Sensibilisierung kann so den Schutz des geschädigten Gewebes weiter erhöhen.
Die zentrale Sensibilisierung kann Bestehen bleiben, auch wenn die primäre Schmerzursache bereits ausgeheilt und vollständig verschwunden ist. Diese anhaltenden Sensibilisierungen sind dann inadäquat und stellen keinen sinnvollen Schutzmechanismus dar. Schmerz ist dann nicht länger Symptom einer Erkrankung oder Schädigung, sondern bekommt einen eigenständigen Krankheitswert, man spricht dann auch von der Schmerzkrankheit.
Bei einem Teil der Synapsen im Rückenmark oder im Gehirn kann es aktivitätsabhängig zu einer lang anhaltenden Steigerung der Übertragungsstärke kommen. Diese synaptische Langzeitpotenzierung (engl.: synaptic long-term potentiation, LTP) wurde zuerst im Hippocampus entdeckt und gilt heute als der wichtigste zelluläre Mechanismus von Lernen und Gedächtnis. Eine aktivitätsabhängige LTP kommt auch an Synapsen zwischen nozizeptiven C-Fasern und Neuronen im oberflächlichen Hinterhorn des Rückenmarks vor. Diese Form der LTP wird als eine Ursache für die Hyperalgesie angesehen, da sie die Antworten auf Schmerzreize verstärkt (Sandkühler 2001).
Eine LTP an Synapsen nozizeptiver C-Fasern kann durch Entzündungen, periphere Verletzungen oder akute periphere Nervenläsionen ausgelöst werden. Die Schmerzreize führen bei einem Teil der nozizeptiven Neurone im Hinterhorn des Rückenmarks zu einem starken Anstieg der freien zytosolischen Kalziumionenkonzentration. Kalziumionen stellen einen universellen Trigger für eine große Zahl von Enzymsystemen in Nervenzellen dar. In den betreffenden nozizeptiven Nervenzellen des Rückenmarks kommt es zu einer Aktivierung von kalziumabhängigen Enzymen, die unter anderem Proteine wie z.B. Neurotransmitterrezeptoren phosphorylieren damit wichtige Zelleigenschaften verändern.
Unter anderem wird so die Wirkung des erregenden Neurotransmitters Glutamat verstärkt. Schwache Schmerzreize führen nun anhaltend zu gesteigerten Reizantworten bei diesen Neuronen. Die synaptische Langzeitpotenzierung betrifft selektiv eine Gruppe von nozizeptiven Neuronen in Lamina I, die eine aufsteigende Projektion zum Gehirn haben (Ikeda et al. 2003). Selektive Zerstörung dieser Nervenzellpopulation führt bei Versuchstieren zu einer deutlich abgeschwächten Hyperalgesie und Allodynie nach Entzündungen und Nervenverletzungen, nicht jedoch zu veränderten Schmerzreaktionen bei akuten Schmerzen (Nichols et al. 1999).
Diese Erkenntnisse zeigten weiland erstmals, dass die Verarbeitung von akuten Schmerzreizen bei nicht vorgeschädigtem Gewebe zumindest teilweise über andere nozizeptive Bahnen verläuft als die Nozizeption bei Entzündungen, Traumata und Nervenverletzungen. Diese Schlussfolgerung aus tierexperimentellen Versuchen wird durch Befunde am Menschen bestätigt. Kürzlich wurden Korrelate der synaptischen LTP bei der Schmerzwahrnehmung von Probanden beobachtet (Klein et al. 2004). Kontrollierte Schmerzreize führten zu einer lang anhaltenden Steigerung der Schmerzempfindlichkeit für das gereizte und das unmittelbar angrenzende Hautareal.
Mit modernen bildgebenden Verfahren konnte beim Menschen gezeigt werden, dass beim Entzündungsschmerz andere Hirnareale aktiviert werden als beim Akutschmerz (Lorenz et al. 2002). Obwohl die Reizintensitäten so gewählt wurden, dass die Schmerzintensität als jeweils gleich stark empfunden wurde, wurden die Hitzereize auf entzündeter Haut als aversiver empfunden als die, die auf normale Haut appliziert wurden. Auch diese Befunde am Menschen zeigen, dass bei der Hyperalgesie andere Teile des nozizeptiven Systems involviert sind, als beim Akutschmerz.
Entzündungen und Nervenverletzungen können die physiologische, tonisch aktive Hemmung im Rückenmark beeinträchtigen. Die wichtigsten hemmenden Neurotransmitter im Rückenmark sind _-Aminobuttersäure und Glyzin. Sowohl GABAerge als auch glyzinerge Neurone können in ihrer Funktion gestört werden.
Durch gentechnisch veränderte Mauslinien ist es nun erstmals möglich, gezielt von glyzinergen oder GABAergen Nervenzellen im Rückenmark abzuleiten und so ihre Eigenschaften zu bestimmen. Bei Entzündungen ist die glyzinerge Übertragung im Rückenmark durch einen prä-synaptischen Mechanismus abgeschwächt (Müller et al. 2003). Hemmung der glyzinergen oder GABAergen Übertragung im Rückenmark führt im Tierversuch zur Hyperalgesie und Allodynie (Dickenson et al. 1997). Die Zahl der GABAergen Neurone und die GABAerge Immunreaktivität im Rückenmark ist nach Nervenläsionen deutlich reduziert. Möglicherweise ist hieran der Zelltod durch die neurotoxische Wirkung von exzessiv freigesetztem Glutamat ursächlich beteiligt.
Einige Formen von einschließenden Schmerzen bei Neuropatien weisen phänomenologische Gemeinsamkeiten mit epileptiformen Anfällen auf. Dazu zählt die Auslösbarkeit durch harmlose Reize, die Rekfraktärphase nach einem Anfall sowie der stereotype Ablauf eines Anfalles. Auch das Ansprechen auf antiepileptische Medikamente gehört dazu. Kürzlich zeigte sich, dass das neuronale Netzwerk im Rückenmark tatsächlich in der Lage ist, epileptiforme Entladungen auszubilden, die auf antiepileptische Substanzen nicht jedoch auf Opioide ansprachen (Ruscheweyh and Sandkühler 2003). Zukünftige Arbeitensollen Rolle die epileptiforme Entladungen im nozizeptiven System bei neuropatischen Schmerzen untersuchen.
Zwei in der Vergangenheit genannte Mechanismen der Schmerzchronifizierung sind dagegen nach heutigem Kenntnisstand obsolet. Dazu zählt das Aussprossen von niederschwelligen A_- Fasern in nozizeptiven Regionen des Hinterhorns. Frühere Arbeiten zeigten, dass ein Farbstoff, der normalerweise nur von niederschwelligen A_- Fasern aufgenommen und transportiert wird, nach einer Nervenläsion auch in oberflächlichen Schichten des Hinterhorns sichtbar ist, in denen normalerweise nur nozizeptive A_- und C-Fasern enden. Dieser Befund wurde interpretiert als ein Hinweis auf das Aussprossen von niederschwelligen A_- Fasern in die oberflächlichen Laminae I und II des Hinterhorns. Dies sollte erklären, dass nach Nervenläsionen Erregungen von A_- Faserafferenzen zu Schmerzempfindungen führen. Tatsächlich konnten spätere Arbeiten jedoch beweisen, dass es sich hierbei um ein experimentelles Artefakt gehandelt hatte (Shehab et al. 2003).
»Wind-up« wird gelegentlich als Ursache für eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit nach Entzündungen oder Nervenläsionen angeführt. In seiner ursprünglichen Definition ist »wind-up« jedoch ein normales Kodierverhalten von einem Teil der nozizeptiven Nervenzellen im Hinterhorn des Rückenmarks (Mendell and Wall 1965).
Auch ohne Entzündungen oder Nervenläsionen zeigt ein Teil der Neurone bei C-Faser Reizung mit 0,5 – 5 Erregungen pro Sekunde zu Beginn eines Reizes eine Zunahme der Reizantworten. Dieses »wind-up« kann man in den ersten 10 bis 15 Sekunden der C-Faser Erregung beobachten. Das kann wiederum dazu führen, dass Reizantworten auch bei niedrigen Schmerzreizen ausgelöst werden, wenn diese über mehrere Sekunden bestehen bleiben. »Wind-up« ist somit also ein adaptiver Mechanismus, um adäquates Schmerzverhalten bei anhaltenden, akuten, leichten Schmerzreizen zu erzwingen.
Mechanismen der zentralen Sensibilisierung wie synaptische LTP oder Verlust der physiologischen Hemmung können die Stärke von »wind-up« erhöhen und die Entladungsfrequenzen in C-Fasern, die »wind-up« auslösen, absenken. Veränderungen des »wind-up« können damit zur Quantifizierung einer zentralen Sensibilisierung herangezogen werden.
Als gemeinsamer Auslöser für die verschiedenen Mechanismen beim Schmerzgedächtnis kommt die exzessive Freisetzung von Neurotransmittern in Frage. Maßnahmen, die die gesteigerte Freisetzung verhindern oder die übermäßige Rezeptoraktivierung unterbinden, kommen daher prinzipiell für die präventive Analgesie in Betracht. Man bezeichnet das im Englischen als pre-emptive analgesia. Die körpereigene Schmerzabwehr löst im Hinterhorn des Rückenmarks eine prä- und post-synaptische Hemmung der Neurotransmitterfreisetzung aus.
Als hemmende Überträgerstoffe sind endogene Opioide, Monoamine wie Noradrenalin und Serotonin, sowie die hemmenden Neurotransmitter GABA und Glyzin bekannt. Eine Schwächung der körpereigenen Schmerzabwehr hat zur Folge, dass normalerweise harmlose Schmerzreize zu einer zentralen Sensibilisierung führen können. Dies mag die unterschiedliche Anfälligkeit von Patienten erklären, bei offenbar gleichen Schmerzursachen ein Schmerzgedächtnis auszubilden. Bei insuffizienter körpereigener Schmerzabwehr oder bei starken Schmerz auslösenden Gewebeschäden kann die zusätzliche Gabe von Opioiden, von Alpha-2-Adrenorezeptoragonisten oder von antiphlogistischen Analgetika zur präventiven Analgesie notwendig sein (Bromley et al. 1995).
Dagegen stellt der Verlust von Schmerzempfindung und Bewusstseins bei Narkose beispielsweise durch inhalative Narkotika keinen Schutz vor Sensibilisierung dar. Auch bei tiefer chirurgischer Narkose kann sich im Rückenmark ein Schmerzgedächtnis ausbilden.
Die präventive Analgesie kann nur eingesetzt werden, wenn der Zeitpunkt einer Schmerzursache, z.B. eines operativen Eingriffs, von vornherein bekannt ist. Bei der überwiegenden Mehrzahl der Schmerzpatienten haben Sensibilisierungen jedoch bereits stattgefunden. Es ist daher von großem klinischem Interesse, Mechanismen zu identifizieren das Schmerzgedächtnis wieder zu löschen. Nach heutigem Kenntnisstand sind die Sensibilisierungen wie synaptische Langzeitpotenzierung im Rückenmark oder eine gestörte Hemmung nicht irreversibel, sondern können sich innerhalb von Tagen bis Jahren wieder spontan zurückbilden.
Eine ausreichende Schmerztherapie ist dann erforderlich, um das Auffrischen des Schmerzgedächtnis zu verhindern und eine spontane Rückbildung zu ermöglichen. Bei einigen wenigen Patienten können offenbar Gegenirritationsverfahren wie die transkutane elektrische Nervenstimulation oder bestimmte Formen der Nahpunktakupunktur Signaltransduktionswege in nozizeptiven Nervenzellen aktivieren, die der Bildung und der Aufrechterhaltung des Schmerzgedächtnisses entgegen wirken (Carlsson and Sjolund 1994).
Quellen:
Das Schmerzgedächtnis. Prof. Dr. Jürgen Sandkühler. MEDMIX 4/2005. S18-22.
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Schmerzgedächtnis im Gehirn
Stocksy / Sergey Filimonov
Chronische Schmerzen bedeuten für Betroffene eine große Belastung. Doch wodurch entstehen sie eigentlich? Wir gehen dem sogenannten Schmerzgedächtnis auf den Grund.
Er ist unangenehm, aber wichtig: der Schmerz. Für den Körper sind Schmerzen unverzichtbar, denn sie warnen ihn vor Gefahren für die Gesundheit. Manchmal jedoch bleiben Schmerzen und werden für Betroffene unerträglich.
Aus diesen chronischen Schmerzen entwickelt sich das Schmerzgedächtnis – besonders häufig bei Rückenschmerzen und Gelenkschmerzen. Wir erklären dir, wie es entsteht und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.
Chronische Schmerzen können durch krankhafte Veränderungen der Signalverarbeitung im Nervensystem verursacht oder verstärkt werden.
Bei unzureichender Behandlung können starke Schmerzreize Spuren im Nervensystem hinterlassen und die Empfindlichkeit für Schmerzreize erhöhen. Besonders gut untersucht sind solche Veränderungen im Rückenmark.
Ähnliche Schmerzspuren entstehen sehr wahrscheinlich aber auch im Gehirn. Solche langanhaltenden Veränderungen oder Schmerzspuren können dazu führen, dass Schmerzen als eine Art Erinnerung erhalten bleiben und abrufbar sind.
Ein Schmerzgedächtnis äußert sich durch:
- Zunahme der subjektiven Schmerzempfindung bei gleichbleibender oder sogar abnehmender (akuter) Schmerzintensität
- anhaltende oder wiederkehrende Schmerzen ohne erkennbaren Auslöser
- als Schmerzauslösung durch normalerweise harmlose, nicht schmerzhafte Reize
- oder durch spontane Schmerzen
Recht anschaulich ist dieses Bild: Ein Patient verspürt Schmerzen auch dann noch, obwohl die verursachende Körperstelle wieder gesund ist. Trotz äußerlicher Heilung sind die Umstrukturierungen der Nervenzellen so beträchtlich, dass der Schmerz weiterhin, möglicherweise auch lebenslang, anhält. Schmerz ist somit kein Symptom mehr, das einen sinnvollen Schutzmechanismus darstellt, er hat vielmehr einen eigenen Krankheitswert entwickelt.
Leiden im Ländle
Laut einer aktuellen forsa-Umfrage zum Thema „Chronische Schmerzen“, an der 1.510 Menschen aus Baden-Württemberg teilnahmen, leiden elf Prozent der Befragten so gut wie immer an chronischen Schmerzen.
Frauen sind dabei häufiger betroffen als Männer. Über 45-Jährige häufiger als Jüngere. 45 Prozent derjenigen, die an chronischen Schmerzen leiden, fühlen sich durch die Beschwerden im Alltag stark bis sehr stark beeinträchtigt.
Der Mensch verfügt über eine sehr wirksame körpereigene Schmerzabwehr. Hat sich bereits ein Schmerzgedächtnis entwickelt, lässt sich das Schmerzempfinden nicht komplett zurückstellen, aber durch gezielte schmerztherapeutische Maßnahmen umprogrammieren. Verfestigte Verarbeitungsprogramme im Rückenmark und im Gehirn sollen dadurch ebenfalls durchbrochen werden.
Zur Anwendung kommen multimodale, ganzheitliche Therapieansätze. Die chronischen Beschwerden lassen sich damit zwar nicht bei allen Patienten hundertprozentig reduzieren. Jedoch können die Maßnahmen eine deutliche Minderung an Häufigkeit, Dauer und Intensität der Schmerzen bewirken. Die Folge kann eine maßgebliche Verbesserung der Lebensqualität sein.
Da chronische Schmerzen oft in Folge eines nicht oder zu spät behandelten, akuten Schmerzes entstehen, ist es wichtig, durch eine schnelle und zielgerichtete Therapie akuter Schmerzen egal welchen Ursprungs, die Entstehung eines Schmerzgedächtnisses zu vermeiden.
Ist das Schmerzgedächtnis schon eingetreten, kommt je nach Ursache eine multimodale Behandlung in Betracht. Diese kann neben Medikamenten zum Beispiel Physio-, Bewegungs-, Psycho- und Elektrotherapie, oder auch Techniken zur Schmerzbewältigung und zur Entspannung beinhalten.
Letztlich ist es nicht zuverlässig zu verhindern, da die Gründe für den chronischen Schmerz sehr unterschiedlich sein können. Am einfachsten kann man chronischen Schmerzen vorbeugen, die nach Operationen auftreten, indem man versucht, präoperativ eine möglichst gute Schmerztherapie durchzuführen.
Durch eine gute Analgesie (Schmerzlinderung), körperliche Aktivierung des Patienten und Psychotherapie. Im Idealfall hilft auch die Rückkehr zur Arbeit.
Welche Ablenkungsstrategien gibt es gegen Schmerzen und welche Rolle spielen Entspannungstechniken dabei?
Dies sind unterschiedliche Verfahren, die meist von Psychologen und Psychologinnen durchgeführt werden, wie zum Beispiel das Imaginationsverfahren. Entspannungsverfahren spielen ebenfalls eine große Rolle. Dazu zählen unter anderem die progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen, autogenes Training oder Atementspannung.
Im Wesentlichen Physio- und Ergotherapien zum Erlernen von Eigenübungen, die dann zu Hause selbstständig durchgeführt werden sollten. Weiterhin regelmäßige sportliche Betätigung (soweit möglich). Nordic Walking, Schwimmen, Radfahren, Bewegungstherapien (Qi Gong, Tai-Chi).
Wichtig ist, dass der Einzelne eine aktivierende körperliche Ausgleichstätigkeit findet, die ihm gefällt und die auch längerfristig regelmäßig durchgeführt wird. Idealerweise in einer Gruppe.
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